Digitalisierte Landschaften

Digitalisierte Landschaften

- ein Bilderbuch -

Pakhaus auf dem Cyber Hill - Hier parken die Menschen, die die Mobilität der Zukunft entwickeln

Pakhaus auf dem Cyber Hill -
Hier parken die Menschen, die die Mobilität der Zukunft entwickeln

Winter 2021/2022

Frankfurt / Offenbach | Stuttgart | Bochum | Paderborn | Hannover | Tübingen / Kirchentellinsfurt

Die Notwendigkeit zur weiteren Digitalisierung scheint Konsens zu sein. Das vermitteln uns nicht nur jene ökonomischen Eliten, die hiervon profitieren werden, und Vertreter*innen aller regierenden Parteien. Auch viele vermeintlich kritische Geister - beispielsweise im politischen Kabarett - ernten gerne Lacher und Applaus mit der Kritik, dass der Ausbau der digitalen Infrastruktur zu langsam vonstatten ginge und oft an einer übertriebenen Bürokratie scheitere.

Dabei wird oft implizit davon ausgegangen, dass der Ausbau digitaler Infrastruktur u.a. ein Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels sei. Durch das Versprechen einer geradezu magischen Effizienz erscheint es möglich, Zielkonflikte zwischen Energieverbrauch und Wachstum, Ökologie und Ökonomie aufzuheben, wovon außerdem alle Menschen gleichermaßen, z.B. durch einen Gewinn an Bequemlichkeit, profitieren würden.

Dieser Mythos der Digitalisierung basiert auf der systematischen Ausblendung ihrer Materialität. Tatsächlich ist die Digitalisierung aktuell eine Chiffre, mit der in großem Maßstab neu Flächen erschlossen, privatisiert und versiegelt werden, mit der die weitere Laufzeit von Kohlekraftwerken und (in anderen Ländern auch) neuen Kernkraftwerken begründet werden und mit der massive Bautätigkeiten einhergehen, die öffentlich finanziert sind, aber keinen neuen Wohnraum schaffen.

Unter dem Arbeitstitel „digitalisierte Landschaften“ hatte ich mir Ende 2021/Anfang 2022 vorgenommen, Rechenzentren und von IT-Unternehmen dominierte Gewerbegebiete fotografisch zu dokumentieren. Eine der ersten Stationen war Frankfurt, da sich hier angeblich einer der weltweit größten Internetknotenpunkte befindet.

Frankfurt am Main

Investitionsruinen an der Kaiserlei zwischen Frankfurt und Offenbach

Investitionsruinen an der "Kaiserlei" zwischen Frankfurt und Offenbach.

Karte des Frankfurter Osthafens

Südlich der Hanauer Landstrasse befinden sich zahlreiche Rechenzentren dicht an dicht. Auch auf der anderen Seite des Mains sind in den vergangenen Jahren mehrere entstanden, zwei davon unmittelbar neben dem Kohlekraftwerk auf dem Gelände der Energieversorgung Offenbach AG (EVO).

Tatsächlich handelt es sich eher um ein Archipel von Rechenzentren, die jeweils über mehrere Entry-/Exit-Points mit anderen vernetzt sind. In den vergangenen Jahren sind solche Rechenzentren v.a. auf dem Gelände des Frankfurter Osthafens entstanden. Auf den ersten Blick erscheint dieser weiterhin von „alter Industrie“ geprägt, von Silos, Schüttguthalden und großen, alten Schornsteinen. Tatsächlich dürfte mittlerweile mindestens ein Drittel der Fläche von Rechenzentren und den damit verbundenen Büro- und Verwaltungsgebäuden eingenommen werden. Die Schornsteine der Rechenzentren sind verhältnismäßig neu und klein – dafür aber auf den zweiten Blick gleich zu Dutzenden erkennbar.

Der 'Alte Hafen' in Frankfurt ist auf den ersten Blick noch von alter Industrie geprägt

Der 'Alte Hafen' in Frankfurt ist auf den ersten Blick noch von alter Industrie geprägt.
In der Mitte lassen sich im Hintergrund die kleinen Schornsteine eines Rechenzentrums bei der Weißmüllerstrasse erkennbar.

In der Verlängerung der Weißmüllerstrasse befindet sich das riesige Gelände des ehemaligen Neckermann-Konzernes, eine Großbaustelle, auf der bereits erste Rechenzentren gebaut werden und weitere Ausbauflächen für die batterieartige Ergänzung durch weitere Rechenzentren abgerissen und eingeebnet werden.

Nur wenige hundert Meter nördlich, auf der anderen Seite der Bahntrassen an der Borsigallee, wird aktuell der „Iron Mountain“ fertig gestellt, ein Rechenzentrum mit noch einmal größeren Dimensionen als jene im alten Hafen, das mit seiner kalten, fensterlosen Architektur zumindest ästhetisch bereits eine zentrale Kreuzung zwischen mehreren Vierteln Frankfurts dominiert. Der Quadratmeterpreis der umliegenden Industrie- und Gewerbegebiete stieg angeblich um das neunfache, ein großer Teil der Liegenschaften wurde rasch an undurchschaubare Konsortien verkauft. Menschen in gelben Westen dominieren das Bild und die angrenzenden Supermärkte, es riecht nach dem Diesel, den die Baumaschinen ausstoßen, um alte Industrie- und Gewerbegebäude abzureißen, und dem Staub, der hierbei freigesetzt wird. In großem Tempo und großflächig verschieben sich die Besitzverhältnisse und damit die Flächennutzung.

Rechenzentren in der Weißmüllerstrasse in Frankfurt

Rechenzentren in der Weißmüllerstrasse in Frankfurt.
Im Vordergrund die schmucklosen Bürogebäude, in denen Teile der Verwaltung und Zulieferer untergebracht sind.

Investitionsruinen an der Kaiserlei zwischen Frankfurt und Offenbach

Investitionsruinen an der "Kaiserlei" zwischen Frankfurt und Offenbach. (Sommer 2022)

Das Rechenzentrum von Iron Mountain hinter der Haltestelle Gwinnerstrasse

Das Rechenzentrum von Iron Mountain hinter der Haltestelle Gwinnerstrasse. Sommer(2022)

Die Großbaustelle Neckermann

Auch auf dem ehemaligen Neckermann-Gelände entstehen erste Rechenzentren (Gebäude im Hintergrund). (Sommer 2022)

Offenbach

Auf der anderen Seite des Mains, im Westen Offenbachs, war kurz zuvor ein weiteres Datenzentrum direkt anschließend an ein Kohlekraftwerk auf dem Gelände der Offenbacher Stadtwerke fertiggestellt worden. Bereits zuvor war zwischen Innenstadt und Kraftwerk auf dem Gelände des alten Hafens ein relativ großes, neues Wohngebiet gebaut worden, stadtauswärts Richtung Frankfurt entstanden gerade um die „Kaiserlei“ riesige Büro- und Gewerbeflächen.

Kraftwerk der Energieversorgung Offenbach AG

Im Vordergrund das Kohlekraftwerk der Energieversorgung Offenbach AG,
dahinter die beiden neu errichteten Rechnzentren.

Hafencity beim Kraftwerk Offenbach

Das neue Wohngebiet "Hafencity" beim Kraftwerk Offenbach.

Bauschild Kaiserlei

Vor allem aber entstehen im Umfeld der neuen Rechenzentren Bürogebäude -
unmittelbar neben Investitionsruinen weiterer Bürokomplexe.

Karte der Entwicklungsgebiete um den alten Güterbahnhof im Osten Offenbachs

Karte der Entwicklungsgebiete um den alten Güterbahnhof im Osten Offenbachs.
In der Mitte das neue Rechenzentrum, links davon die Baugebiete 'Innovationscampus' und 'Quartier 4.0.
Der Schneckenberg im Süden ist mit Solarpanelen bestückt und für den Publikumsverkehr geschlossen.

Am östlichen Ende Offenbachs zeigte sich ein ähnliches Bild. Hier befand sich ein vor Ort allgemein mit „Google“ assoziiertes, um Dimensionen größeres Rechenzentrum von CloudHQ gerade im Rohbau, dahinter eine nagelneue Reihenhaussiedlung und auf der anderen Seite der Gleise die Großbaustelle für das „Quartier 4.0 – Güterbahnhof“. Neben dem Rohbau des Datenzentrums ist der „Schneckenberg“ - eine der wenigen Erhebungen um Offenbach - für den Publikumsverkehr gesperrt, eingezäunt und mit Solarpanelen bestückt. In den älteren Wohngebieten Richtung Innenstadt kündigten zahlreiche Plakate neue Breitbandverbindungen an und warben für Vertragsmodelle, bei denen die jeweilige Erschließungsgebühr erstattet wird.

Rohbau des Rechenzentrums von CloudHQ

Rohbau des Rechenzentrums von CloudHQ.

Rohbau des Rechenzentrums von CloudHQ mit alten KFZ-Werkstätten

Der Rohbau von der anderen Seite.
Die Zufahrt am Ortsrand ist von alten Werkstätten geprägt.

Solarthermische Anlagen auf dem Schneckenberg

Solarthermische Anlagen auf dem Schneckenberg neben dem neuen Rechenzentrum.

Verlegung von Kabelsträngen in Offenbach

Rund um das neue Rechenzentrum werden neue Kabelstänge verlegt.

Während die mit der Digitalisierung verbundenen Bautätigkeiten im Frankfurter Osthafen aktuell eher eine flächenneutrale Transformation zuvor industrieller Gebiete durch Rechenzentren und damit verbundene Dienstleistungen anzeigen, so geht diese aktuell im Osten und Westen Offenbachs mit einer sichtbaren Verdichtung und Expansion von Infrastruktur und gewerblichen Flächen einher. Besonders in Offenbach ist die räumliche und inhaltliche Nähe der Rechenzentren zur Stromgewinnung evident: Die solarthermischen Anlagen können den gesteigerten Energiebedarf nicht ausgleichen, wodurch diese die Abhängigkeit von fossiler Energiegewinnung verlängern. Für viele Unternehmen ein Win-Win-Win.

Stuttgart

Bei Stuttgart soll sich zumindest „ein zenraler süddeutscher Internetknotenpunkt“ befinden. Die Adresse, die mehrere (vermeintliche) Vertreiberfirmen nutzen, liegt am Rande des Gewerbegebietes „Schelmenwasen“ im Stuttgarter Süden und das Gebäude sieht eher aus, wie eilig hochgezogene Mehrparteien-Wohnhäuser im Rahmen großflächiger Erschließungen seit Jahrzehnten aussehen. Ein großes Schild an der gemeinsamen Einfahrt unterstreicht die gewerbliche Nutzung und die Präsenz mehrerer eher unbekannter IT-Dienstleister. Für die umliegenden Gebäude gilt dasselbe.

Karte von Stuttgart-Fasanenhof

Nördlich der Autbahn neben dem Zettachwald befindet sich das alte Industriegebiet Schelmenwasen mit der neuen ENBW-City.

Die Hauptachse des Industriegebietes wird durch eine neue S-Bahnlinie zum nahe gelegenen Flughafen mit zwei neuen Haltestellen geprägt, dort wirken auch die Bürogebäude etwas imposanter und geschäftiger. Auf den zweiten Blick zeigen sich jedoch auch dort deutliche Anzeichen für partiellen Leerstand, verwaiste Cafeterien, deren Theken längst nicht mehr besetzt und durch wenige Snack-Automaten ersetzt wurden. Dominiert wird das gesamte Gelände vom ENBW-Tower, dem vor wenigen Jahren gemeinsam mit der umliegenden „ENBW-City“ als Erweiterung des bestehenden Gewerbegebiets errichteten Hauptsitz des Energieunternehmens. Ein tatsächliches Rechenzentrum lässt sich nicht erkennen. Die aktuellen Baumaßnahmen dokumentieren hingegen (teilweise eher improvisiert wirkende) vom Tower ausgehenden Infrastrukturmaßnahmen, um zumindest die umliegenden Firmenparkplätze mit Strom für neue Ladestationen für E-Autos zu versorgen. Zwischen den mehreren Hundert kleinen und/oder unbekannten IT-Firmen, die hier Präsenz zumindest reklamieren, ist hier auch das Unternehmen Design Offices aktiv, das bundesweit an vergleichbaren Standorten wochenweise angemietete Großraumbüros, stundenweise Einzelbüros oder über Monate oder Jahre Adressen bzw. Briefkästen anbietet.

Der Enbw-Tower vor der ENBW-City

Der "ENBW-Tower" vor der kaum sichtbaren "ENBW-City", vor dem IG Schelmewasen, wo sich am Zettachring, am Waldrand, der Internetknoten SX-10 befinden soll.

Gewerbegebiet bei Stuttgart Fasanenhof

Eine von vielen optisch wenig ansprechenden Bürokasernen am Zettachring.

Etwa sechs Kilometer nordwestlich, nahe der Vaihinger Innenstadt, zeigt sich im kleineren Gewerbegebiet „STEP“ (Stuttgarter Engeneering Park) ein anderes Bild: Hier bezeugen schon die Fahnen vor den funkelnagelneuen Gebäuden oft gleich auf die Präsenz mehrerer internationaler Player wie Microsoft, Lenovo, Dessault, Hitachi. Das relativ kleine Areal verfügt über ein eigenes, kleines Dienstleistungszentrum mit Fitness-Studio und zwei Kaffees, überragt wird es von einem Gebäude, das sich demonstrativ als Rechenzentrum von Mobilcom/Debitel präsentiert, aber auch zahlreiche Büros anderer namhafter Firmen umfasst. Entwickelt wird der Gewerbepark von einem Tochterunternehmen der Landesbank Baden-Württemberg. Etwa fünfhundert Meternordwestlich befindet sich auf dem Campus Vaihingen das Hochleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS), einer der schnellsten Supercomputer Europas.

Werbetafel für den Stuttgart Engineering Park

Werbetafel für den Stuttgart Engineering Park mit dem Bürogebäude und Rechenzentrum von Debitel im Hintergrund.

Debitel-Tower in Stuttgart-Vaihingen

Rechenzentrum und Bürogebäude,das neben Debitel auch andere namhafte Firmen als Nutzer nennt.

der Stuttgart Engineering Park (STEP)

Kleine Bürogebäude im STEP-Technologiepark mit kleinen Niederlassungen großer Unternehmen,
hinten links ein Parkhaus, hinten rechts der Debitel-Tower.

Pakhaus im Stuttgarter Engineering Park (STEP) - Hier parken die Menschen, die die Mobilität der Zukunft entwickeln

Pakhaus im Stuttgarter Engineering Park (STEP)

Das Hochleistungs-Rechenzentrum Stuttgart (HLRS)

Das Hochleistungs-Rechenzentrum Stuttgart (HLRS) mit eigenem kleinen Blockheizkraftwerk am Rande des Campus' Vaihingen.

Im Stuttgarter Norden liegen Weilimdorf und Ditzingen. Die kleine Stadt Ditzingen jenseits der A81 ist geprägt von einem Industriegebiet, in dem der Rüstungskonzern Thales und der Maschinenbauer Trumpf ihren deutschen Hauptsitz haben. Schräg gegenüber der Autobahn befindet sich das Gewerbegebiet WeilimPark, in dem neben dem Unternehmen vector in den vergangenen Jahren v.a. die Niederlassungen von Siemens und Atos massiv ausgeweitet wurden. Thales, Atos und Siemens sind zentrale und häufig miteinender kooperierende Dienstleister bei der Digitalisierung der Verwaltung, der Gesundheit und der Streitkräfte.

Karte mit Ditzingen und Weilimdorf im Norden Stuttgarts

Ditzingen und Weilimdorf im Norden Stuttgarts.
Die Industriegebiete beider Orte sind durch die Autobahn 81 sowie einige landwirtschaftlich genutzte Flächen getrennt.

Atos und Siemens im Gewerbegebiet Weilimdorf

Gemeinsame Niederlassung von Siemens und Atos im Gewerbegebiet Weilimdorf vom zentral gelegenen Parkhaus aus.

Die Stadt Stuttgart beschreibt die „rund 132 Hektar große Fläche“ bei Weilimdorf als „grünen, zukunftsorientierten und nachhaltigen Standort mit hoher Aufenthaltsqualität, neuen Energiekonzepten und attraktiven Serviceleistungen“. Um die Mittagszeit verkehren hier viele Kleinwägen von Lieferdiensten, die Essen in die Büros bringen.

Hannover

Östlich des ausgedehnten Messegeländes im Süden Hannovers befindet sich eines der drei zentralen Rechenzentren der Finanzinformatik GmbH, die überwiegend den Sparkassenverbänden der Länder gehört. Die Erschließung der Flächen erfolgte hier bereits im Rahmen der EXPO 2000. Von den verbliebenen Teilen des Landschaftsparks aus erkennt man hinter gut gesicherten Zäunen futuristische und ausgedehnte Bürogebäude. Ein Imagefilm der GmbH berichtet von „tropischen Gärten“ im Inneren und dass sich die 2.000 Beschäftigten nach dem Prinzip „Office 21“ jeden Tag ein anderes Büro aussuchen könnten.

Das insgesamt gut gesicherte Gelände verfügt im Inneren über nochmals eingezäunte und abgesicherte Bereiche. Im Norden grenzt es unmittelbar an den Stadtteil Bemerode, der einen dörflichen Charakter behalten hat. Im Osten ist es durch Gleise der Stadtbahn vom Wohngebiet Kronsberg getrennt, das ebenfalls im Kontext der Expo erschlossen wurde. Südlich der Finanzinformatik entsteht auf einem neuen Baugebiet Wohnraum für bis zu 9.000 Menschen.

Futuristisches Gebäude der S-Finanzinformatik

Weitläufige Bürogebäude mit „tropischen Gärten“ auf dem ehemaligen EXPO-Gelände vom Landschaftspark aus.

Weiteres Gebäude auf dem Gelände der S-Finanzinformatik

Weiteres Gebäude auf dem Gelände der S-Finanzinformatik.

Einfahrt zur S-Finanzinformatik

Einfahrt zu dem Gelände der S-Finanzinformatik.

Speziell gesicherter Bereich auf dem Gelände der Finanzinformatik

Speziell gesicherter Bereich auf dem Gelände der Finanzinformatik.

Speziell gesicherter Bereich auf dem Gelände der Finanzinformatik

Speziell gesicherter Bereich auf dem Gelände der Finanzinformatik.

Das Gelände der Finanzinformatik ist hier eingebettet in einen Ausbau der urbanen Infrastruktur Hannovers, die damit auf eher ländlich geprägte Landschaften trifft. Das weitläufige Areal stellt dabei eine Art Pufferzone von vergleichbarer Größe der umliegenden Neubau- und Wohngebiete dar, die als Naherholungsgebiet genutzt wird und verstanden werden könnte. Die freundliche Landschaftsgestaltung der öffentlich nutzbaren Wege am Rande des Geländes setzen sich jenseits der Zaun- und Überwachungsanlagen fort und vermitteln, verbunden mit der Architektur zumindest der Bürogebäude am Rand, einen Eindruck von Offenheit und Transparenz. Diese ist allerdings trügerisch, denn die Präsenz der offiziell vorhandenen Rechenzentren und der damit sicherlich verbundenen Energieversorgung und Abfallentsorgung - die ganze Materialität der Datenverarbeitung – ist hier hinter Kaskaden mehr oder weniger abweisender Zäune und künstlich angelegter Gewässer weitgehend unsichtbar gemacht.

Bochum

Die Ruhr-Universität Bochum wurde Mitte der 1960 auf der grünen Wiese südöstlich der Stadt am Rande des Ruhrtals errichtet und erscheint als ein einziger zusammenhängender Betonkomplex. Sie war damals als zentrale Universität des Ruhrgebietes geplant, entsprechend an den automobilen Verkehr angebunden und alleine ihre Dimension erscheint als Ausdruck gesamtstaatlicher Planung. Mehrere für die Universität errichtete Gebäude wurden von dieser dann allerdings nie genutzt, sondern an private Unternehmen, darunter Ausgründungen aus der Universität, vermietet. Was heute als „Wissenstransfer“ vorangetrieben wird, fand hier somit schnell eine räumliche Grundlage. Vor allem aus der medizinischen Universität hervorgehende Startups nutzen die alten Uni-Gebäude auf dem westlichen Campus. Abgeschlossen wird wird dieser mittlerweile von einem siebenstöckigen, breiten Bürogebäude der Volkswagen Infotainment GmbH und mehreren alten und neuen Parkhäusern.

Am anderen Ende des Campus teilt sich das Zentrum für Neuroinformatik GmbH ein recht unscheinbares Gebäude mit einer Niederlassung des Unternehmens Idemia. Idemia war ein Tochterunternehmen des Rüstungskonzerns Safran, befindet sich heute aber im Besitz der Beteiligungsgesellschaft Advent International und beschäftigt ca. 15.000 Mitarbeiter*innen. Spezialisiert ist es auf Gesichtserkennung, biometrische Scanner und Datenbanken u.a. für Polizeien und Grenzschutz. Auf dem Campus selbst wirbt auch der Bundesnachrichtendienst um Personal und damit den „Wissenstransfer“ aus der Wissenschaft.

Viel Beton auf dem Campus der Ruhr-Uni

Ein Betonkomplex – Blick aus der geografischen Mitte des Campus auf die ingenieurwissenschaftlichen Institute im Norden.

VW Infotainment GmbH am westlichen Rand des Campus'

VW Infotainment GmbH am westlichen Rand des Campus'.

Kleine Niederlassung des Unternehmens Idemia gemeinsam mit dem Zentrum für Neuroinformatik GmbH

Kleine Niederlassung des Unternehmens Idemia gemeinsam mit dem Zentrum für Neuroinformatik GmbH.

Werbeanzeige des BND auf dem Campus Bochum

Auch der deutsche Auslandsgeheimdienst wirbt auf dem Campus für den Wissenstransfer.

Die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Institute erscheinen entweder halbwegs saniert und wenig frequentiert, unsaniert und frequentiert oder auch einfach so, als hätte dort vor Jahren eine Bombe eingeschlagen und niemand wäre seit dem jemals dort gewesen. Stattdessen werden an diese nordwestlich anschließend immer weitere Flächen südlich der Ringstrasse erschlossen. Die Universität, die deutlich südlich angesiedelte Hochschule Bochum und das weiter entlang der Ringstrasse ortsauswärts liegende „Technologiequartier“ wachsen zusammen – durch Nebengebäude der Hochschule, durch Anwaltskanzleien,„Ingenieursbüros“, Forschungsgruppen und Ausgründungen. Eine der „Baulücken“ zwischen Uni und Hochschule füllt künftig der Neubau der chip GmbH. Der Neubau wird ebenso wie der Geschäftsbetrieb der chip GmbH ganz überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert. Ihre Aufgabe ist auch insofern öffentlich, als sie politisch definiert ist: Sie soll Wissenschtler*innen dazu animieren, ihre Erkenntnisse zu patentieren und zu kommerzialisieren. Sie unterstützt sie dabei, Räume zu finden und zu finanzieren; Sie unterstützt Sie dabei, ihre Idee zu präsentieren. Sie unterstützt Sie dabei, Geld aus Subventionen und aus einer Vision Investitionen zu machen.

Kaputte Gebäude auf dem Campus Bochum

Einige Gebäude der Uni sehen aus, als wären sie dem Zerfall Preis gegeben worden.

Neubau der CHIP GmbH neben dem Campus

Neubau der Chip GmbH,
finanziert u.a. von den Wirtschaftsministerien von Bund und Land.

Technologiequartier neben dem Campus

Auch im Technologiequartier sind neben Ingenieurbüros und einem Callcenter des Werbesenders „Q“
mehrere Niedelassungen und Ausgründungen aus den Bereichen Sensorik und Bilderkennung ansässig.

Nördlich von Universität, Hochschule und des Technologiequartiers wurden mit der Stilllegung des Werks 2 von Opel große, gut angeschlossene Flächen nahe der Innenstadt frei. Ein knappes Drittel dieses Areals nimmt mittlerweile ein neues Logistik-Zentrum von DHL ein. Der Rest der Fläche ist eine Großbaustelle, auf der von großen Baumaschinen gewaltige Mengen Erde und Baumaterialien bewegt werden. Dazwischen ragt das ehemalige Verwaltungsgebäude des Opel-Werkes empor, das nun im Auftrag der O-Werk Verwaltung GmbH von der Landmarken AG als „Innovation Campus“ mit „attraktiver Gastronomie“, „Co-Working-Flächen mit flexiblen Grundrissen“ für Start-ups und junge Unternehmen, für Gründer und solche, die es werden wollen“ vermarktet.

Auf einem größeren Teil der Bauflächen wird bereits der künftigen Hauptsitz des Unternehmens Escypt errichtet, in dem künftig bis zu 2.000 Menschen, davon etwa 600 Mitarbeiter*innen von Escrypt arbeiten sollen. Escrypt wurde 2004 als Startup der Ruhr Universität Bochum gegründet und ist auf verschlüsselte Kommunikation im Automobilsektor spezialisiert. 2012 wurde es von ETAS, einem Tochterunternehmen von Bosch, übernommen und ist seit dem weiter gewachsen. Heute unterhält es nach eigenen Angaben 17 Standorte in zwölf Ländern von den USA und Kanada bis Indien, China, Korea und Japan. Auch ETAS unterhält einen Standort in Bochum, an dem zwischenzeitlich auch die Mitarbeiter*innen einer weiteren Bosch-Tochter, der Cross-Domain Computing Solutions untergebracht wurden, bevor diese, gemeinsam wiederum mit weiteren Starups u.a. aus dem Bereich autonomes Fahren in den neuen Escrypt-Sitz einziehen sollen. Bosch begründet diese Standortentscheidungen mit der „hohen Dichte an Unis und Hochschulen, die für den dringend benötigten Nachschub an gut ausgebildetem Personal sorgen sollen“.

Zufahrt zum O-Werk auf dem ehemaligen Opel-Gelände

Zufahrt zum Innovationscampus „O-Werk mit Neubau im Vordergrund.

Innenstadtnahe Großbaustelle mit O-Werk und DHL-Logistikzentrum im Hintergrund

Innenstadtnahe Großbaustelle mit „O-Werk“ und DHL-Logistikzentrum im Hintergrund.

Paderborn

Paderborn ist eine Kreisstadt mit etwa 150.00 Einwohnerinnen in einer eher dünn besiedelten Region zwischen dem Ruhrgebiet und Hannover. Die Stadt ist mit ihren vielen katholischen Einrichtungen eher als Erzbistum bekannt, denn als Technologiestandort. Die Universität mit gegenwärtig etwa 20.000 Studierenden weist jedoch bereits seit Jahrzehnten einen Schwerpunkt in den Bereichen Elektrotechnik und Informatik auf. Im Westen der Stadt befindet sich der Stammsitz von Diebold Nixdorf, der auf den Paderborner IT-Pionier Heinz Nixdorf zurückgeht, sich aber nach zahlreichen Übernahmen und Umstrukturierungen heute in US-amerikanischen Besitz befindet. Auf zahlreichen weiteren Flächen der Stadt wurden in den vergangenen Jahren Flächen für IT-Unternehmen und Forschungsinstitute erschlossen. Darunter der Software Innovation Campus am westlichen Rand des Padersees, an dem neben verschiedenen Einrichtungen der Universität auch Diebold Nixdorf, die Finanzinformatik GmbH und Atos beteiligt sind. Atos betreibt auch den Hochleistungsrechner der Universität, der nach eigenen Angaben zu den zehn schnellsten in Deutschland gehört.

Bemerkenswert ist die Versiegelung neuer Flächen etwa für den Technologiepark im Süden der Stadt, da durch den Abzug der britischen Truppen im Stadtgebiet mehrere ehemalige Kasernen für eine zivile Nutzung frei wurden und auch weiter werden. Zugleich lassen sich in einigen der ehemals von IT-Unternehmen geprägten Dienstleistungsquartieren deutliche Zeichen von Leerstand und Verfall beobachten. Viele befinden sich im Besitz britischer und US-amerikanischer Immobiliengesellschaften. Während größere Parkhäuser auch bei kleineren Technologieparks zur Grundausstattung zu gehören scheinen, ist in Paderborn insgesamt auffällig, das an den verschiedenen Standorten besonders viele und große Flächen für das Abstellen von PKW bereitstehen.

Eine der Einfahrten in den Technologiepark

An der östlichen Einfahrt des Technologieparks sind die großen Parkflächen ausgeschildert.
Zwischen den Gebäude finden sich weitere Parkplätze.

Technologiepark mit Schrebergärten im Vordergrund

Schrebergärten zwischen dem Südring und der Bundesstrasse 64.
Im Hintergrund und rechts Gebäude des neuen Technologieparks.

Rand des Technologieparks

Auf der grünen Wiese:
Südlich des Technologieparks schließt eine Bundesstrasse an, dahinter Grasflächen.

Parkhaus im Technologiepark Parkplätze auf dem Technologiepark Lieblos und improvisiert beschriftete Briefkästen an Bürogebäude

Viel Parkraum, wenig Glanz.
Einige Gebäude erinnern an einfache Wohnhäuser mit eher improvisiert beschrifteten Briefkästen.

Karte von Paderborn

Karte mit dem Zentrum, den südlichen und westlichen Stadtgebieten Paderborns.
Links oben ist das Gelände von Diebold Nixdorf gut zu erkennen, rechts unten zwischen Südring und Bundesstrasse der Technologiepark.
Westlich der Rathenaustrasse befindet sich ein weiteres Gewerbegebiet, das von IT-Firmen dominiert ist.
Der Software Innovation Campus befindet sich außerhalb des Kartenabschnitts in nordwestlicher Richtung am Lauf des Flusses Pader.

Tübingen / Kirchentellinsfurt

Südlich von Stuttgart und ebenfalls am Neckar gelegen befindet sich die Stadt Tübingen mit knapp 100.000 Einwohner*innen. Ihr Technologiepark auf der „Oberen Viehweide“ bildet das Herz der Forschungsinitiative „Cyber Valley“, an der neben dem Land und der Max-Planck-Gesellschaft u.a. Daimler, Porsche, Bosch, ZF Friedrichshafen und Amazon beteiligt sind. Ziel ist es, Europas größtes Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz zu werden, wobei Ergebnisse der Forschung schnell durch Startups „kommerzilisiert“ werden sollen. Das Land fördert mit dreistelligen Millionenbeträgen den Bau neuer Forschungs- und Bürogebäude, auch der Mega-Konzern Amazon baut hier direkt neben drei Max-Planck-Instituten einen Forschungsstandort und Bosch plant in unmittelbarer Nähe einen „KI-Campus“, wo neben Mitarbeiter*innen des Konzerns auch Startups und Forschende untergebracht werden sollen.

Technologiepark 'Cyber Valley' in Tübingen vom Nordring aus.

Technologiepark 'Cyber Valley' in Tübingen vom Nordring aus - nahe dem sehr kleinen Ort Waldhausen.
In der Mitte ein Laborgebäude von Curevac. Dahinter baut Amazon sein Entwicklungszentrum für Künstliche Intelligenz.
Auf der Streuobstwiese im Vordergrund will Bosch einen KI-Forschungscampus bauen.

Technologieparks auf der grünen Wiese wirken geradezu als Katalysatoren für Neubaugebiete, die zugleich hochgradig verdichtet und hochpreisig sind. Die maximal genehmigte Höhe der Gebäude im Technologiepark entspricht oft denen für die nahe gelegenen Wohnquartiere, die hierauf jeweils spezialisierte Entwicklungsgesellschaften und Eigentumsstrukturen überlappen sich. Aber auch in den Dörfern, die somit näher an die Städte rücken, wird die neue Industrie nicht nur durch Breitbandanschluss spürbar. In die alten Bauernhöfe ziehen gut verdienende junge Familien ein, die Preise steigen. Auf den zunehmend ausgebauten Wirtschaftswegen kommen sich E-Bikes und Traktoren in die Quere, verbliebene landwirtschaftliche Flächen transformieren sich in Naherholungsgebiete. Unterschiedliche Lebensmodelle und Einkommensniveaus treffen aufeinander.

Die hier beschriebenen Transformationen und Disruptionen werden mit Nachdruck nicht nur von der „unsichtbaren Hand des Marktes“, sondern auch von der öffentlichen Hand vorangetrieben und vollziehen sich vor unseren Augen. Aus öffentlichen Investitionen werden dabei private Profite, wobei die Eigentumsstrukturen an Daten, Land, Infrastruktur und Patenten obskur bleiben. Wie di Wolken am Himmel sind die in beständiger Transformation und oft auch Auflösung begriffen. Ihre materielle Basis und die Versiegelung der Flächen wird bestehen bleiben. Diese Form der Stadt- und Technologieentwicklung mag für einige „smart“ sein – nachhaltig erscheint sie nicht.

Amazon-Entwicklungszentren für Künstliche Intelligenz auf dem 'Cyber-Hill' in Tübingen

Der Neubau des Amazon-Forschungszentrums kurz vor dessen Eröffnung.
Links im Bild: Ausläufer des MPI für Biologische Kybernetik. Unter dem linken Kran: Ein achtstöckiges Parkhaus, rechts davon das Tuebingen AI Center, in dem neben Bosch, Zeiss und der Schufa „Wissenschaft“ betrieben wird.

Die Landesregierung Baden-Württemerg hat angekündigt, für 250 Mio. Euro auf den verbleibenden Flächen im Technologiepark Forschungsgebäude zu errichten, um den Bedingungen eines SAP-Gründers zu entsprechen, weitere 100 Mio. Euro in den Forschungsstandort zu investieren.

Karte von Tübingen

Auch wenn das Cyber Valley bislang noch nicht die internationale „Strahlkraft“ entfaltet hat, die ihm die Beteiligten gerne attestieren, lässt sich doch eine verstärkte Präsenz verschiedener Unternehmen konstatieren, zu denen IT-Dienstleister wie Atos und Amazon, aber auch (ehemalige) KFZ-Zulieferer wie Bosch und ZF Friedrichshafen gehören, die sich zunehmend als Sicherheits- und Plattformunternehmen für die Industrie 4.0 und „Smart Ciities“ etablieren wollen.

Auch dadurch wird hier die „Materialität der Digitalisierung“ zunehmend spürbar und kontrovers. Nachdem der massive Flächenverbrauch und die irreversible Versiegelung von landwirtschaftlichen Nutzflächen über Jahre weitgehend widerspruchslos hingenommen wurde, sorgte die Ankündigung des Baus einer Batteriefabrik in Kirchentellinsfurt, nahe Tübingen, für kurzfristigen Aufruhr.

Brachfläche bei Kirchentellinsfurt, auf der bald eine Batteriefabrik entstehen soll.

Brachfläche im interkommunalen Industriegebiet Mahden II neben einem Werk der manz GmbH.
Hier soll eine Fabrik für die flexible Produktion von Hochleistungs-Akkus für den Rennsport, See- und Drohnenkrieg entstehen – subventioniert von Bund und Land mit 60 Mio. Euro.

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Impressum: Christoph Marischka, Hechinger Str. 203, 72072 Tübingen. Alle Bilder (außer Karten) Copyright: C.Marischka. Fast alle Bilder im Dezember/Januar 2021/2022 entstanden (ausgenommen die kleiner dargestellten Bilder aus Frankfurt und jene aus Tübingen/Kirchentellinsfurt).